Unter "Computer" habe ich das Web 2.0 bereits angerissen. Auch ich treibe mich wie viele Erwachsene auf facebook rum und habe auch schon einige Videos auf youtube hochgeladen. Da vieles doch besser privat bleibt habe ich das meiste mittlerweile "unsichtbar" gemacht. Es ist schon seltsam: Ursprünglich habe ich nur ein von einer VHS-Kassette digitalisiertes Video für meinen Bruder hochgeladen und mir im Prinzip nur dafür den youtube-Kanal angelegt. Dieses Video (der 90er-Serie "Hör mal wer da hämmert") bekam über die Jahre zahlreiche Klicks, so dass es bis heute knapp 180.000 Menschen angesehen haben. Genau das ist es, was die allermeisten Leute, speziell auch Jugendliche, im Web 2.0 bzw. den sozialen Netzwerken erreichen wollen: Man will wahrgenommen werden, man will berühmt sein, man will eben Klicks! Bei Twitter sammelt man "follower", bei facebook "friends", bei twitch sind es "Abonnement" und auf youtube geht es neben dem Sammeln von "subscribern" auch und möglichst viele "likes" und "comments".

 

Es ist für einen Pädagogen wie mich spannend, Internettrends zu beobachten und die unterschiedlichen Nutzungsmuster der Menschen zu studieren. Man erfährt in den sozialen Netzwerken eine Menge Dinge über die Interessen von Jugendlichen, Erwachsenen und auch Senioren, man sieht Influencer und Selbstdarsteller, man lernt Hobbys, Moden und Subkulturen kennen und man hört neue Begriffe, Slangs und Mundarten. Man findet hochqualitative Fotos und Videos, tolle und positive Statements, teilweise große Solidarität unter Menschen, aber genauso findet man Datenmüll, alberne Sprüche, Pseudoweisheiten, Hetze und Hass. Mittlerweile geht es gerade auf facebook häufig um politische Statements, um das Beleidigen von Andersdenkenden und natürlich um "fake news".

 

Nirgendwo ist Feldforschung (wie ich es nenne) so einfach und direkt möglich wie im Web 2.0. Damals im Studium durchlief ich eine intensive Schulung zur sog. "Dokumentarischen Methode". In einem Forschungsprojekt musste ich mit weiteren Mitarbeitern Schulklassen zu Gruppendiskussionen animieren, ohne selbst maßgeblich in das Geschehen einzugreifen. Diese Diskussionen wurden aufgezeichnet, transkribiert und anhand wissenschaftlicher Vorgaben ausgewertet. Vereinfacht gesagt ging es darum herauszufinden, ob bzw. in welchem Maße antidemokratische, fremdenfeindliche oder gar rassistische Einstellungen bei den Schülern schlummerten. Heute bekommt man auf facebook, twitter, telegram und Co. entsprechende Aussagen direkt geliefert, sozusagen frei Haus, jederzeit abrufbar.

 

Damals, 2003/04, hatten in Sachsen überdurchschnittlich viele Jugendliche die DVU gewählt und in NRW wollte man wissen, ob dies auch hier passieren könne. Seit einigen Jahren zeigt sich, dass das Wählerpotenzial für Parteien vom rechten Rand im ganzen Land recht groß geworden ist. Innerhalb der älteren Generation sogar noch weitaus stärker als bei den Jüngeren. Von einer wissenschaftlichen Untersuchung, die in diesem Kontext explizit die sozialen Medien untersucht (Stichwort Hass-Postings), habe ich allerdings noch nichts gehört.

 

Es muss aber gar nicht um so etwas ernstes wie Politik gehen. Ich arbeite ja nun mal mit Jugendlichen und deshalb interessiert mich natürlich auch, wie die Generation Z so tickt. Für meine Arbeit sehe ich das als essentiell an. Wenn ich den Kids etwas von Berufsorientierung oder Bewerbungsstrategien erzähle, dann sollte ich als "Lehrer" auch wissen,  was den jungen Leuten wichtig ist im Leben und wo deren (Freizeit-)Interessen liegen. Egal wie jung man sich selbst fühlen mag, ein 15-Jähriger tickt anders als ein 40-Jähriger und auch anders, als dieser 40-Jährige selbst mit 15 tickte.

 

Da ich leider so ziemlich niemanden kenne, geschweige denn jemanden in der Familie habe, der sich im Alter zwischen 10 bis 21 Jahren befindet, nutze ich auch hier das Web 2.0 um auf dem Laufenden zu bleiben. Allen voran twitch und youtube sind hier Weiterbildungsplattformen par exzellence! Anhand der Streams und der selbstproduzierten Videos junger Leute habe ich bereits viel mehr gelernt, als es mir im realen Leben in diesem Umfang je möglich gewesen wäre. Nicht nur in Bezug auf deutsche Jugendliche. Dabei gibt es eine Fülle von interessanten Formaten: Vlogs, Tutorials, Challenges, Routines, Battles, Reactions, Kochstreams, Roomtours und noch viele andere. Ich kenne einige Computerspiele aus zahlreichen "Let's Plays" oder "Gameplays" fast so gut, als hätte ich sie selbst gespielt. Ich weiß nun was "Sneakerheads", "Famehuren" oder "31er" sind. Und vor allem habe ich nach dem Konsum hunderter "Vlogs" eine ungefähre Vorstellung davon, was Jugendliche dieser Generation so umtreibt, was ihnen wichtig ist, aber auch was sie kacke finden. Es ist für mich absolut erstaunlich und nicht selten erschreckend, wie offen viele junge Menschen dabei in ihren Videos sind. Sie erzählen frei heraus ganz private Dinge. Und dies tun sie, während sie parallel dazu einen Ego-Shooter zocken. Echt seltsam!

 

In aller Regel schaue ich youtube-Videos dabei in englische Sprache.

  • Erstens lerne ich dadurch etwas über aufkommende Trends, die meistens kurz darauf nach Deutschland schwappen. Ein gutes Beispiel hierfür sind bzw. waren die E-Boards (auch Hoverboards genannt), die in den USA spätestens seit dem Weihnachtsgeschäft 2015 total angesagt waren. Eine Zeit lang hat man diese dann auch in Deutschland gesehen. Durchgesetzt haben sie sich aber nicht würde ich sagen. Ähnlich war es mit dem Fidget-Spinner-Trend.
  • Zweitens erfahre ich zumindest im Falle von "Let's Plays" etwas über aktuell angesagte Computerspiele, die ich selbst zu spielen kaum die Zeit und wahrscheinlich auch nicht mehr die Muße haben werde. Wenn ich trotzdem nachvollziehen kann, warum ein bestimmtes Spiel die jungen Menschen so in seinen Bann zieht (Stichwort Minecraft oder Fortnite), dann habe ich etwas dazu gelernt und mein Bild der Teenager-Generation wird wieder ein wenig konsistenter.
  • Des Weiteren bekomme ich drittens etwas vom generationsspezifischen Jugendslang mit. Sobald ein Begriff fällt, den ich noch nicht kenne, schlage ich diesen nach oder suche die Bedeutung im Internet heraus. Nicht selten begegnen mir manche Wörter dann sogar an deutschen Schulen wieder, denn auch die Schüler gucken ja diese Videos um zu wissen, was "in", was "cool" ist. Oftmals  übernehmen sie den englischen Wortschatz ganz einfach. Ob den Jugendlichen neben der kontextbezogenen Bedeutung auch die korrekte Übersetzung eines Wortes ("sick", "gay", "heat") dabei bekannt ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Das gleiche gilt für Abkürzungen ("wtf", "omg", "gg", "afk", "vnds"). Die "Famehure" habe ich oben schon erwähnt. Ich weiß nun, dass "deadstock" für noch nie getragene Schuhe steht, dass eine "donowall" das komplette Ignorieren eines Chat-Teilnehmers bedeutet, oder dass man "kappa" am Ende des Satzes sagen muss, wenn man etwas nicht ernst meint. Steht so noch nicht im Duden.
  • Viertens hat das Anschauen bzw. Anhören englischsprachiger Videos schließlich den willkommenen Nebeneffekt, dass ich ganz nebenbei mein eigenes Englisch verbessere. Mein Hörverstehen im Englischen übersteigt meine Sprach- und Schreibfähigkeiten bereits um Lichtjahre. Ich kann beim Konsumieren auch gemütlich irgendetwas anderes machen (im Internet surfen, Staub saugen, abwaschen), denn in der Regel ist das Gesagte in den Videos (für mich) interessanter als das, was es zu sehen gibt. Ok, bei einer Icebucket-Challenge mag dies anders sein. Aber hat man eine gesehen, hat man alle gesehen.

Ich werde an dieser Stelle garantiert noch weiter texten, aber als ein erstes Statement zum "Web 2.0" bzw. sozialen Netzwerken und deren Möglichkeiten und Gefahren soll es das erst mal gewesen sein. Zu dem, was Jugendliche in bestimmten Altersgruppen auf konkreten Diensten treiben, könnte ich auch noch einiges sagen (wäre auch interessant für ein wissenschaftliches Forschungsdesign!), aber das dann vielleicht ein andermal. Ich schaue jetzt mal nach, wer gerade auf twitch online ist ...