Bereits Ende der 1990er Jahre startete ich das erste Mal mit dem Hobby Ahnenforschung. Zu diesem Zeitpunkt bestand die mir bekannte Kernfamilie aus gerade mal elf Personen. Meine beiden ersten Ziele waren das Zusammentragen von Informationen zur erweiterten Familie sowie das Sichten eine jahrzehntelangen Briefverkehrs einiger Familienmitglieder mit einem 1923 in die USA ausgewanderten Großonkel. Mit diesem US-amerikanischen Familienzweig wollte ich mittelfristig in Kontakt treten.

Was ich schnell merkte war, dass bei der ganzen Arbeit und den Nachforschungen mein ausgeprägter Ordnungssinn sehr von Vorteil war. Von Anfang an erfasste ich alle gesammelten Daten in einer Software, da die Übersicht sonst sehr schnell verloren gegangen wäre. Mein Vorgehen war zunächst folgendes: Ich interviewte Familienmitglieder, sammelte Dokumente, schrieb E-Mails und googelte auch schon erste Informationen im Internet (auch wenn es den Begriff "googeln" damals noch nicht gab). Alles zusammen ergab ein erstes Bild meiner Vorfahren bis etwa in die 1880er Jahre zurück.

 

Per E-Mail bekam ich auch einen ersten Kontakt in die USA. Allerdings gab es dort einerseits niemanden in meinem Alter, mit dem ich "auf einer Ebene" hätte schreiben oder chatten können, zum anderen schienen die dort lebenden entfernten Familienmitglieder auch nicht sonderlich interessiert an einem Kontakt zu sein. So schlief das Hobby während meiner Studienjahre weitgehend ein.

Als ich mich nach Abschluss meines Studiums in einer Phase der beruflichen Orientierung befand, mit anderen Worten eine kurze Zeit lang arbeitslos war, startete ich mein Projekt erneut. Eines hatte sich nämlich mittlerweile verändert: Jetzt gab es soziale Netzwerke! Es war meine Registrierung bei facebook im Jahr 2008, die mir plötzlich ungeahnte Möglichkeiten eröffnete - speziell in Hinblick auf die USA-Kontakte und für die Suche nach potentiellen Verwandten in meinem Alter. Ich lernte schnell, verschiedenste Quellen im Internet zu nutzen, um Informationen zusammenzutragen und wenn es mir sinnvoll erschien, Personen direkt anzuschreiben. Auch sichtete ich weitere Familiendokumente, die ich über die Jahre gesammelt hatte bzw. die mir nun, da auch viele Verwandte in Deutschland mittlerweile mit dem Computer umgehen konnten, auch mal als Scan zugemailt werden konnten. Ganz maßgeblich kam mir auch das Vorhandensein von Ahnenforschungsdatenbanken im Internet zu Gute. Hier lernte ich wie wichtig es ist, vorsichtig mit Informationen umzugehen. Nur was ich eindeutig zuordnen und belegen konnte, nahm ich in meine Datenbank auf. Das im Studium erlernte wissenschaftliche Vorgehen stellte sich als sehr nützlich heraus.

 

Im Prinzip weiß ich schon seit einiger Zeit alles, was ich ursprünglich über dieses Hobby herausfinden wollte. Alles was ich nun noch erfahre, ist sozusagen Bonuswissen. Es sind aber die regelmäßigen kleinen Erfolge und Anekdoten, die mich immer wieder weitermachen lassen. Hier ein paar Ergebnisse:

  • Meine Software (Family Tree Maker 2010) umfasst derzeit, im Juli 2022, genau 1146 Personen in der Hauptdatenbank. Nicht alle Personen sind direkt verwandt mit mir. Ich führe außerdem Parallellisten mit nochmals mehreren 100 Personen, die ich noch nicht an meinen Stammbaum anbinden konnte. Dies ist genau die Herausforderung, die noch vor mir liegt. Glücklicherweise gibt es weitere Hobbyahnenforscher, mit denen ich zusammen arbeite. Dass die meisten davon bereits im Rentenalter sind stört mich nicht. Tatsächlich habe ich schon des Öfteren von Freunden hören müssen, dass mein Hobby doch ein sehr langweiliges sei und zudem eines, das eher alte Leute betreiben.
  • Der älteste Vorfahre den ich finden konnte (unter dem Vorbehalt, dass die Ahnenforscher, die an dem Stammbaum mitgewirkt haben auch sauber und wissenschaftlich gearbeitet haben), ist ein 22-facher Urgroßvater von mir. Sein Name war Johannes Glandorf, er wurde um 1350 geboren. Genau genommen ist er einer von hunderttausenden, wenn nicht sogar millionen 22-fachen Urgroßvätern von mir. Aber immerhin habe ich diesen einen, bei dem ich es nachweisen kann und dessen Nachfahrenlinie ich bis zu mir selbst kenne. Und hey, 1350!!! Zu der Zeit wurden in Europa 25 Millionen Menschen durch die Pest dahingerafft. Es war zwar bereits die Zeit des Spätmittelalters, aber Feudalismus, Rittertum und Kreuzzüge gab es noch immer.
  • Mein Familienname Roßband leitet sich von "Rossebändiger" ab. Das bedeutet, meine Vorfahren haben Rösser (also Pferde) gefangen und gebändigt. Zumindest gilt dies für jene Vorfahren, von denen ich diesen Namen habe. Tatsächlich bin ich wie jeder andere Mensch der Nachfahre sehr vieler sehr unterschiedlicher Menschen. Da ich aus keiner Adelsfamilie stamme ist mein Nachname mehr oder weniger Zufall. Wäre mein Großvater mütterlicherseits nicht gewesen, der sich als Traditionalist dafür eingesetzt hat, dass meine Eltern bei ihrer Hochzeit den eigentlich ungeliebten Namen meines Vaters behalten, dann würde ich heute Markus Bode heißen.


Noch interessanter als diese Fakten sind bei der Ahnenforschung (zumindest für mich persönlich) die Geschichten die man aufdeckt. Auch finde ich es wahnsinnig spannend mir vorzustellen, wie meine jeweiligen Vorfahren zu ihren Lebzeiten gelebt haben müssen. Ein wenig kenne ich mich aus in der Geschichte und es macht diese noch viel interessanter wenn man weiß, dass eigene Vorfahren zu einem bestimmten Zeitpunkt Teil dieser Geschichte wahren. Nur ein Beispiel:

  • Johann Glandorp (1501–1564), Nachfahre des bereits erwähnten Johannes Glandorf und damit ebenfalls ein Vorfahr von mir, war ein Schüler Philipp Melanchthons, der wiederum zusammen mit Martin Luther einer der Antreiber der Reformation war. Glandorp war wie Luther und Melanchthon in Wittenberg aktiv. Er war außerdem gebürtiger Münsteraner, musste später allerdings von hier fliehen, da er sich gegen die Wiedertäufer gestellt hatte. Als ehemaliger Münsteraner, der die Geschichte der Stadt im Groben kennt (die Wiedertäufer sind dort jedem ein Begriff), finde ich diese Verwandtschaft hochinteressant.
Mein Großvater (hinten) in der Schreibstube des Lazarettzuges L.K.Z 651
Mein Großvater (hinten) in der Schreibstube des Lazarettzuges L.K.Z 651

Sehr spannend war es zudem, die Tagebücher und Gedächtnisprotokolle meines Großvaters zu lesen. Zusammen mit einigen Erinnerungen meiner Mutter ergab sich für mich eine ganz neue Sicht auf ihn. Er war sicherlich kein Held oder ähnliches, aber nähme man die Episoden seines Lebens zusammen, die sich jeweils parallel zu großen Ereignissen des letzten Jahrhunderts ereigneten haben (Weltwirtschaftskrise, Weltkrieg, deutsche Teilung), dann könnte man direkt ein Buch über sein Leben schreiben. Auch das Wirken der Familie meiner Großmutter überraschte mich und ist kaum weniger spannend (Widerstand gegen die Nazis, politisches Wirken für die KPD im lippischen Parlament). Die Fotos, Aufzeichnungen und Protokolle aus Weltkriegstagen, als mein Großvater zur Besatzung eines Lazarettzuges der Wehrmacht gehörte, dürften selbst für Geschichtsforscher sehr interessant sein.

 

 

 

Schließlich sind da noch die kleinen Erfolge, die die Ahnenforschung mit sich bringt, wenn man seine Erkenntnisse mit anderen teilt:

  • Einem polnischen Geschichtsforscher aus Breslau konnte ich bei der Klärung der Frage helfen, wer die Personen waren, die in einer örtlichen Gruft bestattet wurden. Diese wurde zu der Zeit gerade aufwendig restauriert. Die Gruft ist eine der letzten erhaltenen aus der Zeit, da Breslau noch deutsch war. Der Forscher, dessen Anliegen es ist, die Geschichte seiner Heimat auch im Kontext einer zukünftigen Verständigung zwischen Polen und Deutschen darzustellen, konnte mit meiner Hilfe eine Gedenktafel prägen lassen, die nunmehr die besagte Gruft ziert. Zusätzlich konnte ich Nachfahren der dort Begrabenen in Deutschland ausfindig machen. Diese reisten 2014 mit ihrem bereits sehr in die Jahre gekommenen Großvater nach Polen, damit dieser ein letztes Mal das Grab der Familie besuchen und sich vor Ort über die Restaurierung des Friedhofs und das Schicksal seines alten Dorfes informieren konnte.
  • Einer jungen Frau aus NRW konnte ich helfen, ihren tatsächlichen Großvater zu finden, nachdem sie auf der Beerdigung ihres Vaters erfahren hatte, dass dessen (vermeintlicher) Vater nicht ihr richtiger Großvater ist.
  • Ich selbst kenne nun meine zahlreichen Cousinen und Cousins in den USA und weiß, wie die Familie sich dort seit der Emigration meine Großonkels im Jahr 1923 entwickelt hat. Es war interessant zu sehen, welche Gemeinsamkeiten es einerseits gibt, wie anders wir aber auch in vielen Dingen sind. 2017 schließlich besuchte ich einen Teil meiner Verwandschaft in den USA. Die Treffen mit einigen Familienmitgliedern in Waupaca und Larsen (Wisconsin) waren sehr herzlich und sehr interessant!

 

Besuch bei Familie Milner in Larsen (Wisconsin), 2017
Besuch bei Familie Milner in Larsen (Wisconsin), 2017

Vermutlich werde ich in naher Zukunft zum ersten Mal ein tatsächliches Archiv aufsuchen, um an einige Informationen zu kommen, die einen meiner Urgroßväter betreffen. Bis jetzt habe ich fast die gesamte Arbeit am bzw. mit dem Computer erledigt. Die Möglichkeiten von PC und Internet für dieses Hobby, wenn man sie denn kennt und zu nutzen weiß, sind enorm!

 

Zu folgenden Familiennamen forsche ich in erster Linie:

  • Roßband
  • Branske
  • Bode
  • Sterzel